Dekret Nr. 510
der provisorischen Regierung der Vereinigten Staaten von Brasilien
über die Veröffentlichung einer Bundesverfassung der Vereinigten Staaten von Brasilien

vom 15. November 1889

Die durch Heer und Flotte im Namen und unter Zustimmung der Nation eingesetzte provisorische Regierung der Republik der Vereinigten Staaten von Brasilien, beseelt von dem Drange, die endgültige Organisation der Republik zu beschleunigen und der Nation selber baldmöglichst die Regierung zu übergeben, beschloss: auf breitesten demokratischen und liberalen Grundlagen, in Übereinstimmung mit den durch die Erfahrung gegebenen Lehren, unserer Nothdurft und den Grundsätzen, welche die Revolution vom 15. November, den gegenwärtigen Ursprung unseres gesammten öffentlichen Rechts, inspirirten, - die Verfassung der Vereinigten Staaten von Brasilien zu formuliren, welche durch gegenwärtiges Aktenstück bekannt gegeben wird, damit sie der Abgeordnetenschaft des Landes in deren nächster Vereinigung unterbreitet werde, indess sie selber sogleich mit den unten einzeln aufgeführten Bestimmungen in Kraft tritt. Deshalb wird verfügt:

Art. 1. Die erste Nationalversammlung der Abgeordneten des brasilianischen Volkes (Kongress) ist auf den 15. November laufenden Jahres einberufen, die Wahlen dazu haben künftigen 15. September stattzufinden.

Art. 2. Dieser Kongress wird von der Wählerschaft mit besonderen Vollmachten ausgestattet sein, über die hiermit publizirte Verfassung zu beschliessen und wird das der erste Gegenstand seiner Berathungen sein.

Art. 3. Die jetzt publizirte Verfassung tritt sogleich in Kraft, in sofern sie Bezug hat auf das Zweikammersystem des Kongresses, seine Zusammensetzung, seine Wahl und die Befugnisse, welche beide Kammern auszuüben berufen sind, nämlich besagte Verfassung zu bestätigen und darnach im Einklang mit deren Bestimmungen vorzugehen.

Daher denn die provisorische Regierung schon jetzt die Verbindlichkeit auf sich nimmt, gedachte Verfassung, in den angegebenen Punkten, zu erfüllen und befolgen zu lassen; der Wortlaut der Verfassung ist folgender:

Verfassung der Vereinigten Staaten von Brasilien.
 
Titel I. Von der Föderativ-Organisation

Art. 1. Die brasilianische Nation, als Regierungsform die durch Dekret No. 1 vom 15. November 1889 proklamirte Föderativ-Republik annehmend, konstituirt sich unter dauernder und unauflöslicher Vereinigung der alten Provinzen, in den Vereinigten Staaten von Brasilien.

Art. 2. Jede der alten Provinzen bildet einen Staat, das alte freie Munizipium Rio den Föderativdistrikt, indem es fortfährt, die Hauptstadt der Vereinigung zu sein, so lange nicht der Kongress in dieser Hinsicht Anderes beschliesst. Sollte der Kongress die Verlegung der Hauptstadt beschliessen, und ist hierzu ein Gebiet ausgewählt, unter Zustimmung des Staates oder der Staaten, von denen dasselbe losgelöst werden müsste, so wird dadurch der gegenwärtige Föderativdistrikt seinerseits sogleich zum selbstständigen Staate.

Art. 3. Die Staaten können sich einander einverleiben, sich in mehrere theilen, sich zerschlagen und an andere angliedern, oder neue Staaten bilden, Alles unter in zwei aufeinanderfolgenden Jahren ertheilter Beistimmung der betreffenden lokalen gesetzgebenden Körper und Bestätigung durch den Kongress.

Art. 4. Jedem Staate kommt zu, für die eigenen Ausgaben, die Nothdurft seiner Regierung und Verwaltung zu sorgen, und kann die Vereinigung einen einzelnen Staat nur in ausnahmsweisen Fällen öffentlicher Noth unterstützen.

Art. 5. Die Föderativ-Regierung darf sich in die Sonderangelegenheiten der Staaten nicht einmischen, — es sei denn:
1. Um fremde Invasion oder die eines Staates in einen anderen zu unterdrücken;
2. um die republikanisch-föderative Staatsform aufrecht zu erhalten;
3. um, auf Anrufung der Lokalgewalten, Ordnung und Ruhe in den Staaten wieder herzustellen;
4. die Ausführung der Gesetze des Kongresses und die Vollstreckung der durch die Föderation gefällten Urtheile zu sichern.

Art. 6. Ausschliessliche Befugniss der Vereinigung (d. h. der Zentralregierung) ist, zu beschliessen:
1. Zölle auf Einfuhr fremder Herkunft;
2. über die Rechte des Einlaufens, Ausgangs und Verweilens der Schiffe; der Küstenhandel ist frei für alle nationalen Waaren, ebenso für die fremden, sobald sie schon Eingangszoll bezahlt haben;
3. Stempelgebühren;
4. Post- und Telegraphengebühren:
5. Einrichtung und Unterhaltung der Zollhäuser;
6. Einrichtung von Zettelbanken.

Die Gesetze, Handlungen und Urtheile der Behörden der Union werden im ganzen Lande durch Föderativbeamte ausgeführt werden.

Art. 7. Der Föderativ-Regierung ist untersagt, durch kommerzielle oder fiskalische Verfügungen Bevorzugungen und Vortheile zu Gunsten der Häfen eines gegen die eines anderen Staates zu gewahren.

Art. 8. Ausschliessliche Befugniss der Staaten ist es, Steuern au dekretiren:
1. auf die Ausfuhr von Waaren, welche nicht aus anderen Staaten herrühren;
2. auf Grundbesitz;
3. auf Eigenthums-Übertragung.

§ 1. Bei der Ausfuhr aus einem Staate sind steuerfrei die aus anderen Staaten herrührenden Erzeugnisse.

§ 2. Von 1895 ab werden alle Exportzölle aufhören.

§ 3. Die Einfuhr fremder Waaren zu besteuern ist einem Staate nur erlaubt, wenn dieselben zum Verbrauch im eigenen Gebiete bestimmt sind, andernfalls fällt das Erträgniss der Steuer dem Förderativ-Schatze heim.

Art. 9. Es ist den Staaten verboten, irgendwie zu belasten, Schwierigkeiten zu bereiten, Druck, Regulative oder Verwaltungs-Massregeln entgegenzusetzen — Handlungen, Einrichtungen oder öffentliche Dienste, welche durch die Unions- Regierung installirt sind.

Art. 10. Den Staaten und der Union ist verboten:
1. Durchgangs- oder Übergangssteuer zu schaffen, wegen Durchfuhr durch einen Staat, oder von einem Staat in den ändern, wenn sich's um Erzeugnisse eines anderen Staates der Republik oder fremde handelt, und ebensowenig auf die Fahrzeuge, welche, zu Land oder zu Wasser, dergleichen Waare transportiren;
2. die Ausübung religiöser Kulte einzurichten, zu unterstützen oder zu verhindern;
3. rückwirkende Gesetze vorzuschreiben (prescrever bis retroactivas).

Art. 11. Wo sich's um Gegenstände handelt, deren Erledigung gleicherweise der Unionsregierung und den Staaten-Regierungen zusteht, da setzt die Ausübung der Autorität Seitens der ersteren der Thätigkeit der anderen ein Ziel und anullirt von da ab alle durch dieselben erlassenen Gesetze und Verfügungen.

Art. 12. Ausser den in Artikeln 6 und 8 angeführten Einnahmequellen ist der Union und den Staaten gestattet, übereinander (cumulativamente) oder nicht, irgend welche andere zu eröffnen, solange das nur nicht der Verfügung in den Artikeln 7, 9 und 10 § 1 zuwiderläuft.

Art. 13. Das Recht der Union und der Staaten, das Eisenbahnwesen und die Schifffahrt im Lande zu regeln, wird durch ein Gesetz Seitens des Kongresses geordnet werden.

Art. 14. Die Land- und Seemacht sind dauernde nationale Einrichtungen, denen die Vertheidigung des Vaterlandes nach aussen und die Aufrechterhaltung der Gesetze im Lande zusteht. Innerhalb der Grenzen des Gesetzes ist die bewaffnete Macht vor allem ihren Vorgesetzten, Staffel um Staffel, zu Gehorsam verpflichtet und verbunden, die verfassungsmässigen Einrichtungen aufrecht zu erhalten.

Art. 15. Die Organe der nationalen Souverainetät sind die gesetzgebende, die ausführende und die richterliche Gewalt, in Übereinstimmung und unabhängig von einander.

Sektion I. Von der gesetzgebenden Gewalt.
 
Kapitel I. Allgemeine Bestimmungen.

Art. 16. Die gesetzgebende Gewalt wird durch den National-Kongress ausgeübt, mit Beistimmung des Präsidenten der Republik.

§ 1. Der National-Kongress setzt sich aus zwei Zweigen zusammen: der Kammer und dem Senat.

§ 2. Die Wahl der Senatoren und Kammer-Deputirten hat im ganzen Lande gleichförmig zu geschehen.

§ 3. Niemand kann gleichzeitig Abgeordneter und Senator sein.

Art. 17. Der Kongress hat sich alljährlich, unabhängig von besonderer Einberufung, am 3. Mai in der Hauptstadt der Föderation zu versammeln und 4 Monate, vom Tage der Eröffnung ab, zu tagen, er kann verlängert, auch zu ausserordentlicher Versammlung einberufen werden.

§ 1. Jede Legislaturperiode dauert 3 Jahre.

§ 2. Im Falle ein Platz im Kongresse frei wird, haben die Behörden des betreffenden Staates augenblicklich für Neuwahl Sorge zu tragen.

Art. 18. Kammer und Senat arbeiten gesondert, tagen öffentlich, solange nicht das Gegentheil durch Stimmenmehrheit beschlossen werden sollte, und beschliessen nur, wenn in der Sitzung die absolute Mehrheit der Mitglieder zugegen ist.

§ 1. Die Behörden beider Kammern werden Massregeln treffen, abwesende Mitglieder zu zwingen, zu erscheinen.

§ 2. Jede der beiden Kammern wird die Vollmachten ihrer Mitglieder prüfen und anerkennen.

Art. 19. Jede beider Kammern wählt ihr Bureau, organisirt ihr inneres Regiment, bedroht in Frage kommende Mitglieder mit Disziplinarstrafen, einschlieslich des zeitweisen Ausschlusses, ernennt die Beamten ihres Sekretariats und regulirt ihre innere Polizei.

Art. 20. Während Ausübung ihres Mandates sind Abgeordnete und Senatoren wegen ihrer Meinungen, Worte und Abstimmung unverletzlich.

Art. 21. Abgeordnete und Senatoren können weder gefangen gesetzt, noch strafrechtlich prozessirt werden ohne vorgängige Zustimmung ihrer Kammer, ausgenommen sie wären bei einem Verbrechen auf frischer That ertappt worden. Im letzterem Falle wird der Prozess bis Spruchreife geführt, die prozessirende Behörde wird die Akten der betreffenden Kammer einsenden, damit diese über den Gang der Anklage entscheide, wenn der Angeklagte nicht sofortige Aburtheilung vorziehen sollte.

Art. 22. Die Mitglieder beider Kammern, indem sie in öffentlicher Tagung ihren Sitz einnehmen, gehen damit die förmliche Verbindlichkeit ein, ihre Pflichten treulich zu erfüllen.

Art. 23. Während einer Tagung erhalten Senatoren und Abgeordnete eine Geldunterstützung, welche der Kongress am Ende jeder Legislaturperiode für die folgende festsetzt, und ausserdem eine Beihilfe zu den Umzugs- und Reisekosten.

Art. 24. Die Kongressmitglieder können von der ausführenden Gewalt kein Amt, noch bezahlte Kommission annehmen, ausgenommen diplomatische Sendungen, militärische Aufträge oder durch regelrechtes Aufrücken bezw. gesetzliche Beförderung erlangte Beamtung. Während der Tagung ruht jede andere amtliche Thätigkeit eines Kongressmitgliedes.

Art. 25. Bedingungen für die Wählbarkeit zum National- Kongresse sind:
1. Im Besitze der Rechte eines Wählers zu sein;
2. für die Kammer — über 7 Jahre brasilianischer Bürger sein; für den Senat — über 9 Jahre.

Art. 26. Nicht wählbar in den Nationalkongress sind:
1. Die weltlichen und die Ordensgeistlichen irgendwelcher Konfession;
2. die Statthalter;
3. die Polizeichefs;
4. die kommandirenden Befehlshaber, ebenso wie alle übrigen Militärs, welche zu Lande oder zur See Kommandostellen einnehmen, oder denen gleiche oder höhere Funktionen ausüben;
5. die Kommandanten der Polizeitruppen;
6. alle obrigkeitlichen Personen, es wäre denn, dass sie seit über einem Jahre ohne Beamtung waren;
7. die unabhängig von richterlichem Urtheil absetzbaren Verwaltungsbeamten.

Kapitel II. Von der Kammer.

Art. 27. Die Kammer setzt sich aus den Abgeordneten des Bundesbezirks (Rio de Janeiro) und der Staaten zusammen, im unverkürzbaren Verhältnis von einem auf 70000 Einwohner: die Abgeordneten gehen aus direkter Wahl hervor. Zu diesem Behufe wird die Föderativ-Regierung innerhalb drei Jahren, von Eröffnung des ersten Kongresses ab, die Zählung der Bevölkerung der Republik vornehmen und dieselbe dann alle 10 Jahre wiederholen.

Art. 28. Der Kammer steht die Initiative für alle Steuergesetze zu, die Festsetzung der Land- und Seemacht, die Diskussion aller von der ausführenden Gewalt kommenden Vorschläge und die Erklärung, ob der Präsident der Republik in Gemässheit von Art. 51 in Anklagezustand zu versetzen ist oder nicht.

Kapitel III. Vom Senat.

Art. 29. Der Senat setzt sich zusammen aus den nach Art. 24 wählbaren Bürgern, welche in Zahl von 3 Senatoren für jeden Staat, von den gesetzgebenden Körpern der Staaten durch Stimmenmehrheit gewählt werden.
Die Senatoren des Bundesbezirks werden nach der für die Wahl des Präsidenten der Republik eingesetzten Form gewählt.

Art. 30. Das Mandat eines Senators läuft auf 9 Jahre, alle 3 Jahre erneuert sich der Senat zu einem Drittel.

§ 1. Im ersten Jahre der Legislaturperiode, sogleich in den Alles vorbereitenden Arbeiten, wird der Senat das erste und zweite Drittel seiner Mitglieder aussondern, deren Mandat nach Ablauf des ersten und zweiten dreijährigen Zeitabschnittes erlischt.

§ 2. Diese Aussonderung wird in drei den drei Dritteln entsprechenden Listen vorgenommen, wobei die Senatoren jedes Staates und des Bundesbezirks nach der Reihe der auf sie entfallenen Stimmen abgestuft werden, derart, dass der Höchstvotirte des Bundesbezirks und eines jeden der Staaten dem letzten Drittel zu- getheilt werden und ebenso den beiden anderen Dritteln die weiteren beiden Namen, rangirt nach der erhaltenen Stimmenzahl.

§ 3. Bei Stimmengleichheit gilt der Ältere für gewählt, bei Altersgleichheit entscheidet das Loos.

§ 4. Das Mandat eines in Folge eines erledigten Sitzes erwählten Senators läuft für die Zeit des Platzes, welcher zu ergänzen war.

Art. 31. Der Vizepräsident der Republik ist ipso facto Präsident des Senates, in dem er nur ausschlaggebend an der Abstimmung eventuell theilnimmt, und wird bei Abwesenheit und in Verhinderungsfällen durch den Vizepräsidenten dieser Kammer (des Senate) vertreten.

Art. 32. Dem Senate ausschliesslich steht es zu, den Präsidenten der Republik und die übrigen durch die Verfassung bestallten Bundesbeamten nach Vorschrift der Verfassung abzuurtheilen.

§ 1. Sobald der Senat als richterliches Tribunal beräth, wird der Vorsitz von dem Präsidenten des höchsten Bundesgerichtshofes geführt.

§ 2. Verdammungsurtheile können nur durch zwei Drittel der anwesenden Mitglieder gefällt werden.

§ 3. Der Senat vermag keine anderen Strafen aufzuerlegen, als Verlust des Amtes und Unfähigkeitserklärung für Ausübung eines anderen, ohne Beeinträchtigung übrigens des gewöhnlichen Rechtsganges gegen den Verurtheilten.

Kapitel IV. Von den Befugnissen des Kongresses.

Art. 33. Ausschliesslich dem National-Kongresse steht zu:
1. Den Bundes-Staatshaushalt jährlich festzustellen;
2. die ausführende Gewalt zu bevollmächtigen, Anleihen abzuschliessen und andere Kredit-Operationen vorzunehmen;
3. die Gesetzgebung über die öffentliche Schuld und Bestimmung der Mittel zu ihrer Bezahlung;
4. die Erhebung und Vertheilung der National-Einkünfte zu regeln;
5. den internationalen Handel zu regeln, ebenso den der Staaten unter sich und mit dem Bundesbezirk, Zollstellen in den Häfen zu errichten, Niederlagen einzurichten oder zu unterdrücken;
6. die Gesetzgebung über die Schifffahrt auf Flüssen, die mehr als einen Staat durchströmen oder fremdes Gebiet berühren;
7. Gewicht, Werth, Aufschrift, Typus und Benennung der Münzen zu bestimmen;
8. Zettelbanken zu gründen, ihre Gesetzgebung zu regeln, sie zu besteuern:
9. Gewichte und Maasse zu bestimmen;
10. die Grenzen der Staaten unter sich, die des Bundesdistrikts und die des nationalen Gebietes gegen die Grenznachbarn endgültig festzusetzen;
11. die Anklage des Präsidenten der Republik in den Art. 52 vorgesehenen Fällen zu verfügen;
12. die Regierung zu bevollmächtigen, Krieg zu erklären und Frieden zu schliessen;
13. endgültig über Verträge und Übereinkünfte mit fremden Nationen zu entscheiden;
14. die Bundeshauptstadt zu bezeichnen;
15. im Falle von Art. 4 den Staaten Unterstützungen zu gewähren;
16. die Gesetzgebung über Post- und Telegraphendienst:
17 die zur Sicherung der Grenzen geeigneten Massnahmen einzuführen;
18. Land- und Seemacht jährlich festzustellen;
19. die Zusammensetzung des Heeres zu regeln;
20. fremden Truppen den Durchmarsch durch das Land behufs militärischer Operationen zu gewähren oder zu versagen;
21. in den von der Verfassung vorgesehenen Fällen die Polizeikräfte der Staaten zu mobilisiren und zu benutzen;
22. im Falle eines Angriffs durch fremde Truppen, oder inneren Aufruhres, einen oder mehrere Punkte des Nationalgebietes in Belagerungszustand zu erklären, den in Abwesenheit des Kongresses durch die ausführende Gewalt oder ihre verantwortlichen Vertreter verhängten gutzuheissen oder aufzuheben;
23. die Bedingungen und den Wahlakt für die Bundesämter im ganzen Lande zu regeln;
24. die zivil-, kriminal-, handelsrechtlichen und Prozessgesetze der Republik zu kodifiziren;
25. die Gehälter der Staatsminister festzusetzen;
26. öffentliche Bundesbeamte zu ernennen oder zu unterdrücken, ihre Befugnisse und Gehälter zu bestimmen;
27. dem obersten Bundesgerichtshof untergeordnete Gerichte einzusetzen;
28. Gesetze gegen Seeraub und Eingriffe ins Völkerrecht zu erlassen;
29. Amnestie zu erlassen;
30. den Bundesbeamten, wegen Verbrechen auf ihre Verantwortlichkeit, auferlegte Strafen umwandeln oder erlassen;
31. Gesetze über nationalen Grundbesitz und Bergwerke zu erlassen;
32. Sondergesetze für den Bundes-Distrikt erlassen;
33. Besonderer Gesetzgebung zu unterwerfen diejenigen Punkte vom Gebiete der Republik, in denen sich die Anlage von Arsenalen oder anderen Einrichtungen und Anstalten bundesstaatlicher Konvenienz nöthig machen sollten;
34. Gesetze über den höheren Unterricht im Bundesbezirk zu erlassen;
35. das Auslieferungswesen unter den Staaten zu regeln;
36. Über Beobachtung der Verfassung und der Gesetze zu wachen und alle die ganze Föderation angehenden Bedürfnisse vorzusehen;
37. die zur Ausübung der Gewalten, mit denen die Verfassung die Bundesregierung bekleidet, notwendigen Gesetze und Beschlüsse zu dekretiren;
38. die zu vollständiger Ausführung der Verfassung erforderlichen organischen Gesetze zu erlassen.

Art. 34. Dem Kongresse, doch nicht ausschliesslich, steht fernerhin zu:
1. die Entwickelung des Unterrichtswesens, des Ackerbaues, der Industrie und Einwanderung zu fördern;
2. Hochschulen und Mittelschulen in den Staaten zu gründen;
3. für das Volksschulwesen und den höheren Unterricht im Bundesbezirk Vorsorge zu treffen.
Alle anderen Aufwendungen, lokalen Charakters, in der Hauptstadt der Republik, fallen ausschliesslich der Munizipalbehörde zu.

Kapitel V. Von den Gesetzen und Beschlüssen.

Art. 35. Ausgenommen die in Art. 27 statuirten Ausnahmen können alle Gesetzesvorschläge, ohne Unterschied, vom Senate oder von der Kammer, von der Initiative irgend welcher der Mitglieder ausgehen, oder auch von der ausführenden Gewalt in besonderer Botschaft eingebracht werden.

Art. 36. Der in einer Kammer angenommene Gesetzesvorschlag ist der anderen zu unterbreiten, welche, im Falle der Annahme, ihn der ausführenden Gewalt einschickt, welche ihn, stillschweigend beistimmend, zu sanktioniren und zu veröffentlichen hat.

§ 1. Wenn jedoch der Präsident der Republik den Gesetzesvorschlag für inkonstitutionell oder entgegen den Interessen der Nation halten sollte, so hat er innerhalb 10 Tagen, vom Tage, da ihm der Entwurf zuging ab gerechnet, Einspruch zu erheben, und innerhalb gleicher Frist den Entwurf unter Begründung der Zurückweisung derjenigen Kammer zuzustellen, aus der die Initiative dazu herrührte.

§ 2. Das Stillschweigen der ausführenden Gewalt bis zum zehnten Tage bedeutet Sanktion, ausgenommen es wäre vor Ablauf der Frist der Kongress bereits geschlossen worden.

§ 3. Ist ein Entwurf der Kammer, die ihn anregte, zurückgestellt worden, so wird er daselbst der Besprechung und namentlicher Abstimmung unterworfen und gilt für angenommen, sobald zwei Drittel der anwesenden Stimmenden dafür sind; in diesem Falle nun wird er der anderen Kammer überwiesen, und geht er da ebenso durch, so schickt ihn die siegende Majorität, als Gesetz, der ausführenden Gewalt ein, damit die dasselbe feierlich veröffentliche.

§ 4. Sanktion und Veröffentlichung geschehen in folgenden Formen:
1. Der National-Kongress verfügt und ich sanktionire das folgende Gesetz (oder Beschluss);
2. Der National-Kongress verführt und ich veröffentliche das folgende Gesetz (oder Beschluss).

Art. 37. Der Gesetzentwurf aus einer Kammer, der in der anderen Änderungen erfuhr, kehrt zur ersten zurück, welche denselben, wenn sie die Änderungen annimmt und in Gemässheit derselben modifizirt, der ausführenden Gewalt einreicht.

§ 1. Im entgegengesetzten Falle geht der Entwurf an die Kammer zurück, welche Einwände erhob, wo nunmehr die Änderungen nur dann als aufrecht erhalten gelten, wenn sie mit zwei Dritteln der anwesenden Stimmen unterstützt werden; das vorausgesetzt, geht der Entwurf an die Kammer der Initiative dafür zurück, die nun ihrerseits nur mit zwei Dritteln ihrer Stimmen die eingebrachten Änderungen abzuweisen vermag.

§ 2. Sind die Änderungen solcher Weise zurückgewiesen, so wird der Entwurf ohne dieselben der Sanktion unterbreitet. Art. 38. Völlig zurückgewiesene oder nicht sanktionirte Gesetzesvorschläge können in derselben Sitzungsperiode nicht wieder eingebracht werden.

Sektion II. Von der ausführenden Gewalt.
 
Kapitel I. Vom Präsidenten und Vizepräsidenten.

Art. 39. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Brasilien übt als erwähltes Staatsoberhaupt der Nation die ausführende Gewalt aus.

§ 1. Im Behinderungsfalle vertritt der gleich dem Präsidenten gewählte Vizepräsident ersteren und folgt ihm bei unvorhergesehener Erledigung des Präsidentenstuhles.

§ 2. Im Behinderungsfalle oder beim Fehlen eines Vizepräsidenten sind der Reihe nach zur Präsidentschaft berufen der Vizepräsident des Senates, der Präsident der Kammer und der des höchsten Gerichtshofes.

§ 3. Um zum Präsidenten oder Vizepräsidenten gewählt zu werden, sind unerlässliche Bedingungen:
1. Geborener Brasilianer zu sein;
2. im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte zu sein;
3. über 35 Jahre alt zu sein.

Art. 40. Der Präsident übt sein Amt 6 Jahre lang aus; für die unmittelbar darauf folgende Präsidentschaftsperiode ist er nicht wieder wählbar.

§ 1. Der Vizepräsident, der die Präsidentschaft während der drei letzten Jahre einer Präsidentschaftsperiode ausgeübt hat, kann für die darauffolgende Periode nicht zum Präsidenten gewählt werden.

§ 2. Der Präsident hat die Ausübung seines Amtes am selben Tage, an dem seine Präsidentschaftsperiode abläuft und ohne dass eine Verlängerung möglich wäre, zu unterlassen; der Neuerwählte folgt ihm unmittelbar.

§ 3. Wenn dieser verhindert ist oder nicht mehr vorhanden wäre, tritt der Ersatz in Gemässheit des vorhergehenden §§ 1 und 2 ein.

§ 4. Die erste Präsidentschaftsperiode endigt am 15. November 1896.

Art. 41. Beim Amtsantritt hat der Präsident vor dem obersten Gerichtshofe in öffentlicher Sitzung folgende Erklärung abzugeben: „Ich verspreche, die Bundesverfassung in aller Redlichkeit aufrecht zu erhalten und zu erfüllen, das allgemeine Wohl der Republik zu fördern, ihre Gesetze zu beobachten, ihren Bund, Bestand und ihre Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten“.

Art. 42. Der Präsident und der Vizepräsident dürfen ohne Erlaubnis des Kongresses das Nationalgebiet nicht verlassen, bei Strafe ihr Amt zu verlieren.

Art. 43. Präsident und Vizepräsident beziehen Gehalt, welches der Kongress in der vorangehenden Präsidentschaftsperiode festsetzt.

Kapitel II. Von der Wahl des Präsidenten und des Vizepräsidenten.

Art. 44. Präsident und Vizepräsident werden vom Volke in indirekter Wahl gewählt, zu welchem Ende ein jeder Staat, ebenso wie der Bundesbezirk, Wahlkreise abgrenzen wird, aus denen Wahlmänner hervorgehen und zwar die doppelte Anzahl der Repräsentanten im Kongress.

§ 1. Ausser den in Artikel 26 Aufgeführten können Wahlmänner nicht sein diejenigen Bürger, welche in der Bundesregierung oder in der der Staaten bezahlte Ämter bekleiden, sei es in den gesetzgebenden Körpern, bei den Gerichten, in der Verwaltung oder beim Militär.

§ 2. Diese Wahl ist am 1. März des letzten Jahres einer Präsidentschaftsperiode vorzunehmen.

Art. 45. Am darauffolgenden 1. Mai wird dann im gesammten Gebiete der Republik die Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten vorgenommen.

§ 1. Die Wähler eines jeden Staates und ebenso des Bundesbezirks bilden ein Wahlkollegium, zu dem sie sich an einem von der betreffenden Regierung in Zeiten zu bestimmenden Orte zusammen zu finden haben.

§ 2. Jeder Wähler giebt in zwei Urnen zwei verschiedene Stimmzettel ab, in eine Urne für den Präsidenten, in die andere für den Vizepräsidenten, sodass er je zwei Bürger bezeichnet, von denen wenigstens einer einem anderen (als den heimischen) Staate angehören muss.

§ 3. Nach Stimmenauszählung werden zwei Aktenstücke angefertigt, ein jedes in drei authentischen Exemplaren, aus denen die Namen der Gewählten und die Zahl der erhaltenen Stimmen hervorgehen.

§ 4. Von diesen sechs Aktenstücken, deren Inhalt sofort durch die Presse bekannt zu geben ist, werden zwei (eines von jedem Akt) dem Statthalter des Staates für das betreffende Archiv eingesandt und im Bundesbezirk zu denselben Zweck dem Präsidenten der Munizipalität, zwei dem Bundes-Senats-Präsidenten und die zwei letzten dem National-Archiv, alle verschlossen und versiegelt.

§ 5. Vor den unter Vorsitz des Senatspräsidenten zu gemeinsamer Tagung vereinigten beiden Kammern eröffnet derselbe die beiden Aktenstücke und proklamiert zum Präsidenten und Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten von Brasilien die beiden Bürger, welche die absolute Stimmenmehrheit auf sich vereinigt haben.

§ 6. Hat Niemand diese Majorität erhalten, so erwählt der Kongress aus den drei Höchstvotirten eines jeden der beiden Akte durch absolute Stimmenmehrheit den Präsidenten und den Vizepräsidenten.

§ 7. Bei solcher Wahl hat jeder Staat und ebenso der Bundesbezirk eine Stimme, und diese steht demjenigen zu, welcher bei seiner Wahl die relativ meisten Stimmen erhielt.

§ 8. Zu diesem Behufe stimmen die Repräsentanten eines jeden Staates und ebenso des Bundesbezirks in getrennten Gruppen.

Art. 46. Als eine gemeinsame Tagung, welche in der Lage ist, über die Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten der Republik kann nicht angesehen werden wenn nicht wenigstens zwei Drittel der Kongressmitglieder anwesend sind.

§ 1. Das zu diesem Zwecke in den beiden vorausgegangenen Artikeln festgesetzte Verfahren beginnt und endigt in einer und derselben Sitzung.

§ 2. Nach geschehenen Aufruf der Kongressmitglieder ist keinem der Anwesenden gestattet, das Haus zu verlassen, weshalb sie sich für alle Fälle in Zeiten vorzusehen haben.

§ 3. Kein anwesendes Mitglied kann sich der Stimmabgabe enthalten.

Kapitel III. Von den Befugnissen der ausführenden Gewalt.

Art. 47. Dem Präsidenten der Republik ausschliesslich steht es zu:
1. Die Gesetze und Beschlüsse des Kongresses zu sanktioniren, zu veröffentlichen und veröffentlichen zu lassen; Dekrete, Instruktionen und Weisungen zu deren getreulicher Ausführung zu erlassen;
2. nach freiem Ermessen die Staatsminister zu ernennen und zu entlassen;
3. den Oberbefehl über die Land- und Seemacht der Vereinigten Staaten von Brasilien, wie über die behufs Vertheidigung des Bundes gegen innere oder äussere Feinde einzuberufenen lokalen Polizeitruppen auszuüben;
4. die Land- und Seemacht, nach den Gesetzesvorschriften des Kongresses und den Bedürfnissen der National-Regierung angepasst, zu verwalten und zu vertheilen;
5. Für die Zivil- und Militärämter von allgemein bundesstaatlichen Charakter Sorge zu tragen, unter Berücksichtigung der in der Verfassung niedergelegten ausdrücklichen Vorbehalte;
6. Strafen auf Verbrechen, deren Aburtheilung der Bundes-Gerichtsbarkeit zusteht, zu erlassen und umzuwandeln, ausgenommen in den Fällen, auf die sich Art. 33 Nr. 30 und Art. 50 § 2 beziehen;
7. Krieg zu erklären und Frieden zu schliessen, in Gemässheit von Art. 33 Nr. 12;
8. sofort Krieg zu erklären, sofern fremder Angriff oder Invasion vorliegt;
9. über die Lage des Landes dem Kongresse jährlich Rechenschaft abzulegen und ihm in einer Botschaft, die er dem Sekretär des Senats am Tage der Kammerneröffnung zugehen lässt, die eiligen Benöthigungen und Reformen anzuempfehlen;
10. den Kongress zu ausserordentlicher Sitzung einzuberufen, ordentliche Sitzungen zu vertagen;
11. die Bundesbehörden zu ernennen;
12. unter Zustimmung des Senates die Mitglieder des höchsten Bundes-Gerichtshofes und die Gesandten zu ernennen, was, in Abwesenheit des Kongresses kommissarisch geschehen kann, bis der Senat sich darüber ausspricht;
13. alle übrigen Diplomaten und konsularische Agenten zu ernennen;
14. die Beziehungen zu den fremden Staaten zu pflegen;
15. selbst oder durch seine verantwortlichen Agenten, in Fällen fremden Angriffs oder ernstlicher innerer Unruhen des Belagerungszustand über irgend welchen Theil des Nationalgebietes zu verhängen (Art. 77 und 33 Nr. 22);
16. internationale Angelegenheiten zu ordnen, Verträge und Übereinkünfte zu schliessen, immer ad referendum des Kongresses, und den von den Staaten in Gemässheit von Art. 64) geschlossenen zuzustimmen und sie dem Kongresse zu unterbreiten.

Kapitel IV. Von den Staatsministern.

Art. 48. Der Präsident der Republik hat Gehülfen in den Staatsministern, Beamten seines Vertrauens, welche ihm Vortrag halten, und von denen ein Jeder einem der Staatssekretariate, unter welche die Bundesverwaltung geteilt ist.

Art. 49. Die Staatsminister können keine andere Bedienstung oder öffentliches Amt nebenher haben, noch zum Präsidenten oder Vizepräsidenten des Bundes gewählt werden.

Der Abgeordnete oder Senator, welcher das Amt eines Staatsministers annimmt, verliert sein Mandat; bei der sofort vorzunehmenden Ergänzungswahl ist er nicht wählbar.

Art. 50. Die Staatssekretäre dürfen den Kammersitzungen nicht beiwohnen und verkehren nur schriftlich mit dem Kongresse, oder Persönlich in Konferenzen mit den Kammer-Kommissionen. Die Jahresberichte der Minister werden an den Präsidenten der Republik gerichtet und durch diesen dem Kongress mitgetheilt.

Art. 51. Die Staatsminister sind dem Kongress oder den Gerichtshöfen haftbar für alle dem Präsidenten der Republik gegebenen Rathschläge, ausgenommen wenn diese Rathschläge eine Mitschuld durch die Seitens der Strafgesetze bezeichneten Verantwortlichkeitsverbrechen involviren sollten.

§ 1. Sie haben sich jedoch, soweit ihre Handlungen in Frage kommen, wegen der im Strafgesetz bezeichneten Verbrechen zu verantworten.

§ 2. Bei Verbrechen gegen die Verantwortlichkeit werden sie durch das Bundes-Tribunal prozessirt und abgeurtheilt, und im Falle der Mitschuld mit dem Präsidenten der Republik durch die Behörde, welche diesen zu richten befugt ist.

Kapitel V. Von der Verantwortlichkeit des Präsidenten.

Art. 52. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Brasilien wird, nachdem er durch die Kammer in Anklagezustand versetzt ist, wegen gemeiner Verbrechen vor dem höchsten Gerichtshof prozessirt und abgeurteilt, und wegen solcher gegen seine Verantwortlichkeit vor dem Senat.

Art. 53. Als Verbrechen gegen seine Verantwortlichkeit werden dem Präsidenten der Republik angerechnet alle Handlungen, welche bedrohen:
1. Den politischen Bestand des Bundes;
2. die Verfassung und die Bundesregierungsform;
3. die freie Ausübung der politischen Gewalten;
4. den Genuss und die gesetzliche Ausübung der politischen oder persönlichen Rechte;
5. die innere Sicherheit des Landes;
6. eine redliche Verwaltung;
7. die Verwahrung und vermassungsmässige Verwendung der öffentlichen Gelder.

§ 1. Diese Delikte werden in einem Sondergesetz noch eingehender definirt werden.

§ 2. Ein anderes Gesetz wird die Art der Anklage, des Prozesses und der Aburtheilung regeln.

§ 3. Beide Gesetze werden in der ersten Tagung des ersten Kongresses fertiggestellt werden.

Sektion III. Von der richterlichen Gewalt.

Art. 54. Die richterliche Gewalt des Bundes hat als Organe einen höchsten Gerichtshof, welcher seinen Sitz in der Hauptstadt der Republik hat, und so viele über das Land vertheilte Bundesgerichte, als der Kongress einzurichten für gut finden wird.

Art. 55. Der höchste Gerichtshof wird sich aus 15 Richtern zusammensetzen, welche in Gemässheit von Art. 47 No. 11 ernannt und aus den 30 ältesten Bundesrichtern und den vom Senate vorzuschlagenden Bürgern von hervorragenden Wissen und Ruf ausgewählt werden.

Art. 56. Die Bundesrichter üben ihr Amt auf Lebenszeit aus und können ihr Amt nur durch richterliches Urtheil verlieren.

§ 1. Ihre Gehälter werden vom Kongress durch Gesetz bestimmt, welcher sie ihnen nicht schmälern kann.

§ 2. Der Senat urtheilt ab über die Mitglieder des höchsten Gerichtshofes, diese über die unteren Bundesrichter.

Art. 57. Die Bundesgerichte erwählen aus ihrer Mitte ihre Präsidenten und organisiren ihre Sekretariate.

§ 1. Die Ernennung und Entlassung der Sekretariatsbeamten, wie die Aufsicht über die Gerichtsämter ihrer Sprengel, steht den Tribunalspräsidenten zu.

§ 2. Der Präsident der Republik wird eines der Mitglieder des höchsten Gerichtshofes zum General-Anwalt der Republik ernennen, dessen Befugnisse durch Gesetz bestimmt werden sollen.

Art. 58. Dem höchsten Gerichtshofe zu steht:
I. Zu prozessiren bezw. abzuurtheilen insonderheit:
    a) den Präsidenten der Republik in gemeinen Verbrechen, und die Staatsminister in den Fällen von Art. 51;
    b) die Gesandten wegen gemeiner oder politischer Verbrechen;
    c) Rechtshändel zwischen dem Bunde und den Staaten, oder der Staaten untereinander;
    d) Streitigkeiten und Reklamationen zwischen fremden Staaten und dem Bunde oder den Staaten;
    e) Konflikte der Richter oder Bundesgerichte unter einander oder derselben mit den Staaten.
II. Als Appellationshof die von den Richtern und Bundesgerichten entschiedenen Rechtsfälle abzuurtheilen, ebenso auch die Fälle, von denen gegenwärtiger Artikel § 1 und Art. 60 handeln.
III. In Gemässheit von Art. 78 beendigte Prozesse der Revision zu unterwerfen.

§ 1. Gegen die letztinstanzlichen Urtheile der Gerichtsbarkeit der Staaten kann an das höchste Bundesgericht apellirt werden:
    a) wenn sich’s um Giltigkeit oder Anwendbarkeit von Bundesverträgen und -Gesetzen handelt und die Entscheidung des Staatengerichts negativ ausfiel;
    b) wenn die Giltigkeit von Gesetzen und Regierungshandlungen der Staaten Angesichts der Verfassung und der Bundesgesetze angefochten wird und das Staatengericht diese angefochtenen Handlungen und Gesetze für giltig erklärt.

§ 2. In den Fällen, in welchen Gesetze der Staaten in Anwendung kommen, wird sich die Bundesgerichtsbarkeit bei der der Lokaltribunale Raths erholen; im umgekehrten Falle wird die Gerichtsbarkeit der Staaten die der Bundestribunale konsultiren, sobald sich’s um Interpretation von Bundesgesetzen handelt.

Art. 59. Den Bundes-Richtern und -Gerichten steht zu, zu entscheiden:
a) in Sachen, in welchen eine der Parteien ihre Handlung oder Verteidigung auf Verordnungen der Bundesverfassung stützt;
b) in Streitigkeiten zwischen einem Staate und Bürgern eines anderen, oder zwischen Bürgern verschiedener Staaten mit von einander abweichenden Gesetzen;
c) die Rechtsfälle zwischen fremden Staaten und brasilianischen Bürgern;
d) in von Fremden anhängig gemachten Sachen, zu deren Begründung Verträge mit der Bundesregierung oder Übereinkünfte bezw. Verträge des Bundes mit anderen Nationen angeführt werden;
e) in Fragen von See- und Schifffahrtsrecht, wie auf dem Meer, so auf den Flüssen und Seen des Landes;
f) internationale Fragen, kriminalrechtlichen oder zivilrechtlichen Charakters;
f) die politischen Verbrechen.

§ 1. Dem Kongresse ist verwehrt, die Gerichte der Staaten irgendwie mit Bundesgerichtsbarkeit zu betrauen;

§ 2. die Urtheile und Verfügungen der Bundesbehörde werden durch Bundesgerichtsbeamte ausgeführt, denen auf deren Anrufen die Lokalpolizei Hülfe zu leisten verpflichtet ist.

Art. 60. Die Entscheidungen der Richter oder Gerichte der Staaten, in Sachen ihrer Kompetenz, sind endgiltige, — es handele sich denn:
1. um habeas corpus, oder
2. Nachlass von Fremden, wenn der Gegenstand nicht durch Übereinkunft oder Vertrag vorgesehen wäre. In diesen Fällen ist Appellation an den höchsten Bundesgerichtshof zulässig.

Art. 61. Die Staaten-Justiz kann sich nicht in die den Bundestribunalen unterstehenden Rechtsfragen mischen, noch deren Urtheile oder Verfügungen nichtig erklären, ändern oder aufheben.

Titel II. Von den Staaten.

Art. 62. Jeder Staat regiert sich durch die Verfassung und die Gesetze, welche er sich giebt, vorausgesetzt dass sie gemäss republikanischer Form verabfasst seien, den verfassungsmässigen Grundsätzen des Bundes nicht zuwider laufen, die durch die Bundesverfassung verbürgten Rechte respektiren und folgende Regeln innehalten:
1. Die ausführende, gesetzgebende und die richterliche Gewalt sollen getrennt und unabhängig von einander sein;
2. die Statthalter und Mitglieder der lokalen gesetzgebenden Körper sollen aus Wahlen hervorgehen;
3. die obrigkeitlichen Personen hingegen sollen nicht aus Wahlen hervorgehen;
4. die obrigkeitlichen Personen sind nur auf richterlichen Spruch hin entlassbar;
5. der Unterricht soll konfessionslos, durch alle Grade Allen zugänglich, der Volksschulunterricht unentgeltlich sein.

Art. 63. Ein Gesetz der Nationalversammlung wird allen Staaten eine gewisse Portion unbesiedelten (herrenlosen) Landes zutheilen, welches auf deren Kosten abgegrenzt wird und nicht an der Grenzzone der Republik belegen sein darf; die Staaten empfangen solches Land unter der Bedingung, es innerhalb gewisser Zeit zu bevölkern und zu besiedeln und haben es, falls sie diese Vorschrift nicht erfüllen, dem Bunde zurück zu geben.
Die Staaten können solche Ländereien, unter Stipulirung gleicher Verpflichtungen, unter irgend einem Rechtstitel, umsonst oder gegen Entgelt, an Personen oder Gesellschaften überlassen, die es auf sich nehmen, sie zu bevölkern und zu besiedeln.

Art. 64. Den Staaten ist anheimgestellt:
1. Unter sich Verträge und Abmachungen nicht politischer Natur abzuschliessen;
2. im Allgemeinen irgend welche Gewalt oder Recht, das ihnen nicht ausdrücklich in der Verfassung versagt oder implicite in der durch die Verfassung geschaffenen politischen Organisation enthalten ist.

Art. 65. Den Staaten ist verwehrt:
1. Den politischen Urkunden gesetzgeberischer, administrativer oder gerichtlicher Natur, des Bundes oder eines der Staaten, die Glaubwürdigkeit abzusprechen;
2. die Münzen oder die durch Verfügung der Bundesregierung zirkulirenden Banknoten zurückzuweisen;
3. Krieg zu erklären bezw. unter einander zu führen und Repressalien auszuüben;
4. die Auslieferung von Verbrechern zu verweigern, welche von den Gerichten anderer Staaten bezw. des Bundesbezirks, in Gemässheit der Gesetze des Kongresses, welche diesen Gegenstand regeln, (Art. 33 Nr. 35), reklamirt werden.

Art. 66. Ausgenommen die in der Verfassung genannten Vorbehalte und Rechte der betreffenden Munizipalität, wird der Bundesbezirk direkt durch die Bundesbehörden regiert und ist ausschliesslich der Bundesgerichtsbarkeit unterworfen.

Der Bundesbezirk wird durch Kongress-Gesetz organisirt werden.

Titel III. Vom Munizipium (der Gemeinde).

Art. 67. Die Staaten organisiren sich durch ihre eigenen Gesetze, auf Grund des Gemeinderegimentes, auf folgenden Grundlagen:
1. Selbständigkeit der Gemeinde in allen ihren Sonderinteressen;
2. Erwählung der Lokal Verwaltung; die Gemeinde des Bundesbezirks wird durch besonderes Kongressgesetz organisirt.

Art. 68. Bei den Gemeindewahlen sollen die ansässigen Fremden Wähler und wählbar sein, gemäss den Bestimmungen, welche das Gesetz eines jeden Staates dafür vorschreiben wird.

Titel IV. Von den brasilianischen Bürgern.

Sektion I. Von den Eigenschaften des brasilianischen Bürgers.

Art. 69. Brasilianische Bürger sind:
1. Die in Brasilien Geborenen, selbst wenn der Vater ein Fremder ist, vorausgesetzt, dass letzterer nicht im Dienste seiner Nation im Lande residirt;
2. die Kinder eines brasilianischen Vaters und die ausserehelichen Kinder einer brasilianischen Mutter, welche, in der Fremde geboren, ihren Wohnsitz innerhalb der Republik aufschlagen;
3. die Kinder eines brasilianischen Vaters, welcher im Dienste der Republik in einem anderen Lande weilt, selbst wenn sie nicht ihren Wohnsitz im Lande nehmen;
4. die Fremden, welche sich am 15. November 1889 in Brasilien aufhielten, und innerhalb 6 Monaten von Inkrafttreten der Verfassung ab sich nicht darüber erklären, dass sie die angestammte Nationalität zu behalten wünschen;
5. Die Fremden, welche Grundeigentum in Brasilien besitzen und mit Brasilianerinnen verheirathet sind, oder welche Kinder haben, die Brasilianer sind, — es sei denn, sie erklärten vor der zuständigen Behörde, ihren Vorsatz, die Nationalität nicht zu wechseln;
6. die auf andere Weise naturalisirten Fremden.

Die Gesetze über Naturalisation gehören zur ausschliesslichen Kompetenz der gesetzgebenden Gewalt des Bundes.

Art. 70. Die über 21 Jahre alten Bürger, welche sich vorgeschriebenermassen in die Listen eintragen lassen, sind Wähler.

§ 1. Als Wähler für die Bundeswahlen, wie für die der Staaten können sich nicht einschreiben lassen:
1. Die Bettler:
2. Analphabeten;
3. Soldaten, — ausgenommen die Zöglinge der Militärschulen mit höherem Unterricht:
4. die Mönche und Angehörigen von Orden, Gesellschaften, Kongregationen und Gemeinschaften sonstwelcher Benennung, welche den Gelübden des Gehorsams oder sonstiger Regel oder Statut unterworfen sind, die den Verlust individueller Freiheit bedeuten.

§ 2. Die Wahl zu Bundesämtern wird durch ein Kongressgesetz geregelt werden.

§ 3. Die nicht zur Eintragung in die Wählerlisten qualifizirten Bürger sind auch nicht wählbar.

Art. 71. Die Rechte des brasilianischen Bürgers werden suspendirt oder verloren nur in den hier besonders namhaft gemachten Fällen.

§ 1. Diese Rechte werden suspendirt:
a) In Folge physischer oder moralischer Unfähigkeit:
b) In Folge krimineller Verurtheilung, so lange deren Folgen andauern.

§ 2. Diese Rechte werden verloren:
a) in Folge von Naturalisation im Auslande;
b| in Folge der Annahme eines Amtes, einer Pension, Dekoration oder eines Titels vom Auslande her, ohne Erlaubniss der ausführenden Bundesgewalt;
c) in Folge gerichtlicher Verbannung.

§ 3. Ein Bundesgesetz wird die Bedingungen über Wiedererwerbung der Rechte eines brasilianischen Bürgers festsetzen.

Sektion II. Darlegung der Rechte.

Art. 72. Die Verfassung verbürgt Brasilianern und im Lande wohnhaften Fremden die Unverletzlichkeit aller Rechte in Bezug auf ihre Freiheit, individuelle Sicherheit, ihr Eigenthum, — wie folgt:

§ 1. Niemand kann angehalten werden, etwas zu thun oder geschehen zu lassen, wenn nicht Kraft des Gesetzes.

§ 2. Vor dem Gesetz sind Alle gleich. — Die Republik leidet keine Privilegien der Geburt, kennt keinen Adel, schafft weder. Adelstitel, noch Dekorationen. (Anmerkung des Übersetzers: Der gegenwärtige Staatschef der Republik fährt fort, den Cruzeiro- und den Avizorden zu verleihen und hat kürzlich selber den Columbusorden gestiftet.)

§ 3. Alle Individuen und religiösen Bekenntnisse dürfen öffentlich und frei ihren Kult ausüben, sich zu diesem Zwecke zusammenthun und Güter erwerben, unter Beobachtung der durch die Gesetze über die todte Hand gezogenen Grenzen.

§ 4. Die Republik erkennt nur die Zivilehe an, deren Vollzug den religiösen Zeremonieen irgendwelchen Kultus immer voranzugehen hat.

§ 5. Die Friedhöfe haben weltlichen Charakter und werden durch die Gemeindebehörde verwaltet.

§ 6. Der in den öffentlichen Schulen ertheilte Unterricht ist konfessionslos.

§ 7. Kein Kult, keine Kirche empfängt staatliche Subvention, noch kann sie in einem Verhältniss von Abhängigkeit oder Bündniss zur Bundesregierung oder der der Staaten stehen.

§ 8. Die Gesellschaft Jesu ist des Landes verwiesen und die Gründung neuer Klöster oder Mönchsorden verboten.

§ 9. Allen steht das Recht zu, sich frei zu versammeln und zu vereinigen, jedoch unbewaffnet: die Polizei darf nur behufs Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung einschreiten.

§ 10. Jedermann steht es zu, sich mit Eingaben an die öffentlichen Gewalten zu wenden, Missbräuche der Behörden zur Anzeige zu bringen, zu veranlassen, dass Schuldige zur Verantwortung gezogen werden.

§ 11. In Friedenszeiten kann Jedermann mit seinem Vermögen und seiner Habe nach Wunsch und Willen das Gebiet der Republik betreten oder verlassen, ohne dass ein Pass nothwendig wäre.

§ 12. Das Haus ist die unverletzbare Zufluchtsstätte der Person, Niemand darf des Nachts ohne Einwilligung des Bewohners in ein Haus eindringen, es sei denn, um den Opfern von Verbrechen oder Unglücksfällen zu Hilfe zu kommen, auch nicht am Tage, ausgenommen in Fällen und in den Formen, welche das Gesetz vorgesehen hat.

§ 13. Die Meinungsäusserung ist frei, in Bezug auf jedweden Gegenstand, durch die Presse oder von der Rednerbühne herab, unabhängig von einer Zensur: für begangene Missbräuche hat sich ein Jeder nach den vom Gesetz vorgesehenen Formen zu verantworten.

§ 14. Eine Gefangennahme kann nicht stattfinden, wenn nicht auf schriftlichen Befehl der zuständigen Behörde, ausgenommen beim Abfassen auf frischer That eines Verbrechens.

§ 15. Niemand kann gefangen gehalten werden, ohne dass die Schuld deutlich bezeichnet wäre, ausser in den durch das Gesetz bestimmten Ausnahmen; auch darf Niemand ins Gefängniss geführt oder dort gehalten werden, wenn er in den gesetzlich zulässigen Fällen ausreichende Bürgschaft leistet.

§ 16. Niemand kann abgeurtheilt werden, ausser durch die zuständige Behörde, kraft des Gesetzes und in der von demselben gegebenen Form.

§ 17. Den Angeklagten soll im Gesetz die vollständigste Vertheidigung unter Aufbietung aller hierzu dienlichen Mittel zugesichert werden, von dem Augenblick an, wo die dem Gefangenen innerhalb 24 Stunden abzureichende von der Behörde unterzeichnete, Ankläger und Zeugen nennende Anklageschrift abgegeben ist.

§ 18. Das Eigenthumsrecht wird in seinem ganzen Umfange aufrecht erhalten, ausgenommen Enteignung im Interesse öffentlicher Nothdurft oder Nützlichkeit, in welchem Falle vorherige Entschädigung stattfindet.

§ 19. Das Postgeheimniss ist unverletzlich.

§ 20. Keine Strafe wird über die Person des Schuldigen hinaus auf Andere erstreckt werden.

§ 21. Die Galeerenstrafe ist abgeschafft. („Pena de gales" gab es ja, überhaupt schon nicht mehr im Lande. - Anm. des Übersetzers.)

§ 22. Die Todesstrafe auf politische Verbrechen ist ebenfalls abgeschafft.

§ 23. Habeas-corpus wird stets zugestanden werden, sobald einer Person, in Folge von Ungesetzlichkeit oder missbrauchter Macht, Gewalt angethan wurde, oder sich dieselbe wegen derartiger drohender Gefahr beunruhigt fühlt.

§ 24. Ausgenommen in Sachen, welche ihrer Natur nach vor Spezialrichter gehören, wird es Ausnahmegerichte (privilegiado) nicht geben.

Art. 73. Die öffentlichen Zivil- und Militärämter sind allen Brasilianern zugängig, abhängig nur von dem durch das Gesetz näher bestimmten Befähigungsnachweise.

Art. 74. Die Offiziere von Heer und Flotte können ihre Patente nur verlieren durch Richterspruch, der auf diesen Verlust abzielt.

Art. 75. Die Vorführung der ausdrücklich in der Verfassung genannten Rechte und Gewährsleistungen schliesst andere nicht besonders erwähnte Rechte und Bürgschaften nicht aus, welche aus der von der Verfassung geschaffenen Regierungsform und den leitenden Grundsätzen der Konstitution hervorgehen.

Titel V. Allgemeine Bestimmungen.

Art. 76. Ein Bürger, welcher innerhalb einer der drei Gewalten ein Amt bekleidet, kann innerhalb keiner anderen dergleichen auf sich nehmen.

Art. 77. Der Belagerungszustand kann über irgend welchen Theil des Bundesgebietes verhängt werden, unter zeitweiser Aufhebung der verfassungsmässigen Bürgschaften, wenn die Sicherheit der Republik dieses erheischt, in Fällen fremden Angriffs oder innerer Unruhe (Art. 33 Nr. 22)

§ 1. Falls der Kongress nicht versammelt und das Vaterland in unmittelbarer Gefahr ist, stehen der ausführenden Gewalt alle erforderlichen Befugnisse zu.

§ 2. Die ausführende Gewalt wird sich während des Belagerungszustandes darauf beschränken, als Repressalien gegen Personen anzuwenden:
1. Das Ingewahrsamnehmen an Orten, die nicht für Gefangenhaltung gemeiner Verbrecher dienen;
2. die Verbannung nach anderen Plätzen des Nationalgebietes.

§ 3. Sobald der Kongress zusammentritt, wird der Präsident der Republik ihm unter gehöriger Begründung Mittheilung von den getroffenen Ausnahmemassregeln machen, und es werden die Behörden, die sich bei dergleichen Gelegenheiten Missbräuche haben zu Schulden kommen lassen, zur Verantwortung gezogen werden.

Art. 78. Beendigte Kriminalprozesse können zu irgend einer Zeit im Interesse der Verurtheilten vom obersten Bundesgerichtshof revidirt werden, welcher das ergangene Urtheil aufheben oder bestätigen kann.

§ 1. Das Gesetz wird die Fälle, in denen Revision zulässig ist und deren Form bestimmen; die Revision können fordern: der Verurtheilte, irgend Einer aus dem Volke oder ex officio der Generalanwalt der Republik.

§ 2. Die Revision darf zu keiner Verschärfung des ersten (durchgesehenem Urtheils führen.

Art. 79. Die öffentlichen Beamten sind für die Missbräuche und Unterlassungen, die sie sich bei Ausübung ihres Amtes zu Schulden kommen lassen, streng verantwortlich, ebenso für irgend welche Nachsicht oder Nachlässigkeit, für die sie ihre Untergebenen nicht gehörig zur Verantwortung gezogen haben. Beim Antritt ihres. Amtes haben sich Alle durch förmliches Gelöbniss zu verpflichten, ihre gesetzlichen Pflichten zu erfüllen.

Art. 80. Die Gesetze des alten Regimentes (des Kaiserreichs) bleiben in Kraft, so lange sie nicht widerrufen sind, in Allem, was nicht explicite oder implicite dem durch die Verfassung geschaffenen System und ihrem Geist zuwiderliefe.

Art. 81. Die Bundes-Regierung steht für die Zahlung der inneren und äusseren Staatsschuld ein.

Art. 82. Ein jeder Brasilianer ist zum Militärdienst verpflichtet, behufs Vertheidigung von Vaterland und Verfassung, in der von den Bundesgesetzen bestimmten Form.

Art. 83. Die militärische Rekrutirung ist abgeschafft. Heer und Flotte setzen sich aus Ausgeloosten zusammen, die aus den vorher in Listen eingetragenen Militärpflichtigen hervorgehen. Freikauf ist ausgeschlossen.

Art. 84. In keinem Falle, nicht direkt, nicht indirekt, nicht allein, noch verbündet mit einer anderen Nation, werden sich die Vereinigten Staaten von Brasilien in einen Eroberungskrieg einlassen.

Art. 85. Die Verfassung kann geändert werden auf Initiative des National-Kongresses oder der gesetzgebenden Körper der Staaten.

§ 1. Eine Verfassungsänderung gilt als eingebracht, wenn dieselbe, von mindestens einem Viertel der in den beiden Kammern des National-Kongresses sitzenden Mitglieder vorgelegt, in drei Diskussionen von zwei Dritteln der Stimmen in jeder der Kammern angenommen wurde, oder wenn sie von zwei Dritteln der Staaten begehrt wird, vorausgesetzt, dass der Vorschlag in jedem der qu. Staaten in den betreffenden gesetzgebenden Körpern Stimmenmehrheit erhielt, und zwar in allen innerhalb desselben Jahres.

§ 2. Der Verfassungsänderungsvorschlag gilt als gebilligt, wenn er im darauffolgenden Jahre, in drei Diskussionen, durch drei Viertel der Stimmen in beiden Kammern des Kongresses Bestätigung findet.

§ 3. Der also gebilligte Vorschlag, versehen mit den Unterschriften der Präsidenten und Sekretäre beider Kammern, wird publizirt, und gilt von da ab als integrirender Theil der Verfassung.

§ 4. Vorschläge, welche darauf abzielen, die republikanisch-föderative Staatsform abzuschaffen, oder die Gleichheit der Repräsentation der Staaten im Senat zu beeinträchtigen, können niemals als Gegenstand von Berathungen im Kongresse zugelassen werden.

Übergangs-Bestimmungen.

Art. 1. Beide Kammern des ersten, auf den 15. November 1890 einberufenen National-Kongresses, werden in direkter Volkswahl gewählt, gemäss dem von der provisorischen Regierung erlassenen Reglement.

§ 1. Dieser Kongress erhält von der Wählerschaft besondere Vollmachten, den Volkswillen in Betreff dieser Verfassung zum Ausdruck zu bringen, sowie auch den ersten Präsidenten und Vizepräsidenten der Republik zu erwählen.

§ 2. Sobald der erste Kongress versammelt ist, wird er, nach Installirung beider Kammern, in gemeinsamer Tagung über diese Verfassung berathen, und, nachdem sie gutgeheissen, zur Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten von Brasilien schreiten, — in einem Wahlgang, wenn sich sogleich absolute Stimmenmehrheit ergiebt, und falls Niemand diese erhielte, in einem zweiten Wahlgang, in welchem relative Stimmenmehrheit den Ausschlag geben würde.

§ 3. Der Präsident und der Vizepräsident, gewählt in Gemässheit dieses Artikels, nehmen die Präsidentschaft und die Vizepräsidentschaft der Republik während der ersten Präsidentschaftsperiode ein.

§ 4. Für diese Wahl kommen keine Unzulässigkeiten in Frage, (d. h. es kann irgendwer ohne Rücksicht auf Stand und Stellung gewählt werden, z. B. ein Priester,
der sonst nach dieser Verfassung ein politisch todter Mann ist. — Anm. d. Übers.)

§ 5. Nach vollzogener Wahl ist der Kongress seiner konstituirenden Aufgabe ledig, trennt sich in Kammer und Senat und widmet sich der Ausübung seiner normalen Thätigkeit

§ 6. Bei der Wahl des ersten Kongresses sind die in Art. 26, Nr. 2 und 7 der Verfassung erwähnten Unzulässigkeiten noch ausser Kraft; aber die nach jener Bestimmung Ausgeschlossenen, wenn gewählt, verlieren ihre Ämter, es sei denn sie nähmen die Wahl zum Senator oder Deputirten nicht an und zögen vor, im Amte zu bleiben.

Art. 2. Die Verfügungen der provisorischen Regierung, insoweit sie nicht der Verfassung zuwider wären, sind Gesetze der Republik, wenn sie nicht durch den Kongress aufgehoben werden. Die von der provisorischen Regierung gewährten Patente, Bestallungen, unabsetzbaren Beamtungen, die Konzessionen und Verträge werden in ihrem ganzen Umfange verbürgt.

Art. 3. Der Staat, welcher bis Ende 1892 seine Verfassung noch nicht zu Stande gebracht hat, wird durch Beschluss der gesetzgebenden Gewalt des Bundes, einer der anderen, die am geeignetsten für ihn scheint, unterworfen, bis der solchem Regimente unterworfene Staat sich in vorgeschriebener Form eine eigene Verfassung schafft.

Art. 4. Je nachdem die Staaten mit ihrer Organisation vorankommen, wird ihnen von der Bundesregierung die Verwaltung der Dienstzweige übergeben werden, die ihnen verfassungsmässig zustehen, und es erlischt alsdann die Verantwortlichkeit der vom Bunde geführten Verwaltung in Bezug auf diese Dienstzweige und in Bezug auf Bezahlung der resp. Gehälter.

Art. 5. Während die Staaten mit Einrichtung ihres öffentlichen Dienstes beschäftigt und dabei sind, ihre Ausgaben zu ordnen, werden ihnen von der Bundesregierung Sonder-Kredite eröffnet werden zu Bedingungen, die der Kongress bestimmt.

Art. 6. Innerhalb zwei Jahren nach stattgefundener Approbation der Verfassung durch den ersten Kongress tritt die in ihr gegebene Klassifikation der Staatseinkünfte in Kraft.

Art. 7. Bei den ersten Ernennungen der Bundesrichter erster und zweiter Instanz soll der Präsident der Republik behufs guter Auswahl dieser Richter, die angesehensten „Juizes de direito“ (etwa unseren Landrichtern im Range gleich) und „Desembargadores“ (etwa unseren Oberlandsrichtern gleich) in's Auge fassen.

Art. 8. Bei Einrichtung ihrer Gerichtshöfe sollen die Staaten, falls eine gute Zusammensetzung dadurch nicht beeinträchtigt wird, vorzugsweise auf die gegenwärtigen Richter erster und zweiter Instanz Rücksicht nehmen.

Art. 9. Die Mitglieder des dermalen noch vom vorigen Regime her bestehenden Obertribunals, welche nicht beim höchsten Bundesgerichtshof Anstellung finden, werden mit vollem Gehalt pensionirt.

Art. 10. Die übrigen Richter, welche in Folge der neuen Justiz-Organisation ihre Stellen verlieren sollten, beziehen, so lange sie nicht anderweite Anstellung finden, ihre gegenwärtigen Gehälter weiter.

Art. 11. So lange die Staaten sich noch nicht konstituirt haben, laufen die Ausgaben für das derzeitige Justizwesen für Rechnung der Bundeskasse, fallen aber dem Staate zur Last, je wie derselbe allmälig mit Einrichtung seiner Tribunale zu Stande kommt.

Art. 12. So lange das militärische Ausloosungswesen noch nicht vollständig organisirt ist, wird man Heer und Flotte durch Anwerbung ergänzen.

    Somit beauftragen wir alle Behörden, denen Kenntnissnahme und Ausführung dieses Dekretes zusteht, dass sie es ausführen und ausführen lassen und es seinem ganzen Inhalte nach beachten.

    Der Staatsminister des Innern lasse es drucken, veröffentlichen und verbreiten.

    Sitzungssaal der Provisorischen Regierung der Vereinigten Staaten von Brasilien, den 22. Juni 1890, 2. Jahr der Republik.

Manoel Deodoro da Fonseca.
Ruy Barbosa.
Benjamin Constant Botelho de Magalliäes.
Eduardo Wandenkolk.
Floriane Peixoto.
Q. Bocayuva.
M. Ferraz de Campos Salles.
Jose Cesario de Faria Alvim.
Francisco Glicerio.

    Rio de Janeiro, den 19. Juni 1890.


Quellen: EXPORT, Organ des Centralvereins für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Auslande zu Berlin, XII. Jahrgang, Berlin 1890, S. 436-439, 467-469, 480-481, 497-499
teilw. eigene Übersetzung (Guido Behnke), zur Verfügung gestellt von Guido Behnke
© 11. Juli 2010

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